Downsizing der Schirmgröße

Auswirkungen auf Flugverhalten und Pilotenrisiko

2011-08-09 16:01 von Florian Pankarter

Der Wunsch nach einem kleineren Schirm ist bei vielen Piloten aus mehreren Gründen allgegenwärtig. Oft ist dieses Verlangen aber weder sportlich sinnvoll noch sicher! Hier ein gängiges Beispiel:


"Mit einem kleineren Schirm kann man besser am Boden bleiben." Das ist das Standard-Argument eines Speedriding-Anfängers, der sich nach einem kleineren Schirm sehnt. Diese Überzeugung entsteht vor allem dann, wenn ein unerfahrener Pilot, das Potential seines Schirmes mangels Wissen und Ausbildung noch nicht kennengelernt und voll ausgeschöpft hat. Ein Pilot mit ausreichend Erfahrung im Umgang mit seinem Schirm verfügt außerdem über die Fähigkeit, dessen Energiehaushalt richtig einzuschätzen und auf das Gelände abzustimmen.

Downsizing ist nicht immer notwendig und kann schnell in einer Katastrophe enden. Dieser Artikel soll Dir die Gefahren des Speedriding nochmals vor Augen führen und Dich für die Risiken einer falschen Schirmwahl sensibilisieren. Vielleicht trägt er dazu bei, Deinen Wunsch nochmals kritisch zu hinterfragen oder eine bestehende Entscheidung zu überdenken.

Die richtige Motivation?

Downsizing ist einfach. Und einen kleineren Schirm fliegen ist cool! Vor allem wenn Du zusammen mit den Profis im High-Speed-Flug die Berge herunter bretterst.
Dieses Verhalten  ist mehr als menschlich. Aber es ist auch enorm gefährlich. Besonders in einem Sport, bei dem der Grat zwischen Fun und einem tragischen Unfall so dünn ist, wie bei kaum einen anderen. Speedriding ist spielerisch, sieht einfach aus und vermittelt dem Piloten schnell ein selbstgefälliges Gefühl von Sicherheit. Das System ist ausgesprochen reaktiv und gut kontrollierbar, die Unterlage ist weich und die Vertikalgeschwindigkeit bei Lande- und Touch-Manövern kann über die Ski mit Leichtigkeit nach Vorne abtransportiert werden. Hört sich soweit alles ganz entspannt an ...

Speedriding ist gefährlich!

Das Problem ist, dass die Fehlertoleranz beim Speedriding gleichzeitig enorm niedrig ist und dass die Fehlerfolgen meist sehr schwerwiegend sind. Eine falsche Aktion kann bei Highspeed-Manövern in Bodennähe schnell fatale Konsequenzen haben.

Hier ein paar Beispiele dafür, welche Situationen auftreten können, wenn Du Deinen Schirm nicht vollkommen im Griff hast:

  • Strömungsabriss in Low-Speed-Situationen
    Ein Stall Deines Schirmes ist besonders bei Low-Speed-Landungen und wegen Stützreflexen während Touch-Downs im Gelände schnell produziert. Er ist besonders beim Speedriding radikal und hat zur Folge, dass Du durch den kollabierten Schirm in einer Pendelbewegung meist seitlich oder rückwärts auf dem Boden aufschlägst. Wenn Du Glück hast, landest Du im Tiefschnee. Wenn Du Pech hast, auf Felsen oder in anderen Hindernissen.
  • Anhäufung kleiner (Piloten-)Fehler
    Strömungsabriss oder Klapper können auch in großer Höhe bei statischem Fliegen auftreten - genau dann, wenn man sie am Wenigsten erwartet. Dazu muss Du nur ein paar kleine Turbulenzen, einen angebremsten Schirm und die Wirbelschleppen Deines Speedriding-Kollegen in einen Topf schütten … und schon hast Du eine lebensgefährliche Mischung. Selbst in großer Höhe ist ein Stall mit einem Speedriding-Schirm wegen der wahrscheinlichen Leinen-Asymmetrie während der Recovery-Phase und den einhergehenden Pendeleffekten Deines Körpers im Regelfall nicht mehr zu beheben und hat meistens schlimme Folgen. Auch ein Klapper kann in so einer Situation enden!
  • Verlust der Leinenspannung durch schnelle Lastwechsel
    Schnelle Lastwechsel wie sie besonders beim Riding erfolgen, können die Leinenspannung Deines Schirmes aufheben und Dir die Kontrolle über das System entziehen, weil Dir der Steuerdruck verloren geht. Das passiert auch wenn das Gelände flacher wird und Du Deinen Anstellwinkel nicht ausreichend anpasst. Geht die Leinenspannung ein- oder beidseitig verloren, reagiert der Schirm am Boden meistens mit einem Eindrehen um die Vertikalachse oder einem vollständigen Kollabieren. Beide Situationen führen in der Regel zu einem Piloten-Crash mit unabsehbaren Folgen.
  • Pendeleffekte bei dynamischen Flugmanövern
    Die Leinenspannung kann auch im Flug verloren gehen, besonders dann wenn Du einen dynamischen Turn nicht mit ausreichend Gewichtseinsatz begleitest. Dein Schirm dreht in dieser Situation durch das asymmetrische Steuer-Input seitlich weg während Du selbst wegen der Trägheit Deiner Masse noch zu viel Vorwärtsmomentum hast. Das hat zu Folge, dass der Schirm Deinen Körper in eine Pendelbewegung schleudert, die leicht in einem Line-Twist endet. In dieser Situation rast Dein Speedrider unkontrolliert in Richtung Boden und ist nicht mehr steuerbar.
  • Übersteuerung des Schirms nach Kurven
    Wenn Du eine dynamische Kurve beim Speedriding nicht gekonnt ausleitest, kann die immanente  Übersteuerungstendenz von Speedriding-Schirmen Dich schnell in eine Bergflanke oder ein anderes Hindernis katapultieren.  Unkontrollierte Ausleitphasen sind besonders bei überambitionierten Anfängern mit wenig Flugerfahrung zu beobachten, wenn sie sich an die begehrte Rolle wagen. Vorsicht: Dieser Effekt hat in den letzten Jahren schon mehrere Speedflyer das Leben gekostet!

Sei Dir bewusst, dass sich diese Auswirkungen verstärken, umso kleiner der Schirm! Du solltest Dir also gut überlegen, ob Du schon reif für den nächsten Schritt bist und mit welcher Motivation Du an die Sache rangehst. Frage Dich vor allem, ob Du die Performance Deines bisherigen Schirms schon ausreichend erflogen und kennengelernt hast und auch mit seinen Grenzbereichen vertraut bist.

Worauf Du beim Downsizing achten solltest

Wenn Du das Gefühl hast, du bist reif für ein kleineres Modell, dann solltest Du Dir über die Folgen ausreichend Gedanken machen und Dich gut auf diese Situation vorbereiten. Diese Liste mit den Auswirkungen eines kleineren Schirms auf Flugeigenschaften und Pilotensicherheit soll Dir helfen, eine informierte und durchdachte Entscheidung zu treffen:

Bewertungsaspekt

Downsizing-Effekt

Risiko des kleineren Schirmes für den Speedriding-Piloten

Geschwindigkeit bei Start, Flug und Landung

schneller

Flug-, Start- und Landeparameter (z.B. Geländeverlauf, Hindernisse, etc.) müssen vom Piloten schneller erfasst und verarbeitet werden; weniger Zeit für Entscheidungen; erhöhtes Risiko von Fehleinschätzungen; Kollisionsfolgen sind durch höhere Geschwindigkeit schwerer.

Abhebestrecke

länger

Die bisherige Entscheidungslinie für Startabbrüche ist möglicherweise  nicht mehr ausreichend; es besteht erhöhte Unfallgefahr bei falscher Einschätzung durch den Piloten! Das Risiko steigt dabei mit Neigung und Anspruch des Geländes.

Landestrecke

länger

Je kleiner der Schirm, desto mehr Energie braucht er, um ein sanftes Landemanöver mit geringer Sinkrate vor dem Aufsetzen zu fliegen. Die benötigte Auftriebsenergie wird aus Geschwindigkeit gewonnen, die mit diversen Techniken vor der Landung aufgebaut werden kann. Der Speed muss dann über eine längere Strecke abgebaut werden und benötigt Platz. Eine Fehleinschätzung der erforderlichen Landstrecke führt zu einer erhöhten Kollisionsgefahr in einer High-Speed-Situation!

Sinkrate

höher

Der schnelle Höhenabbau ist ungewohnt; er ist besonders ausgeprägt während Turns; die ungewohnt schnelle Annäherung an den Boden stellt ein großes Risiko dar!

Gleitzahl

schlechter

Das Verhältnis von geflogener Strecke zu Höhenverlust wird schlechter; zusätzlich verringert sich die Gleitleistung umso mehr, wenn der Pilot den Schirm zu stark anbremst; angepeilte Lande- oder Touch-Punkte können vielleicht  nicht mehr erreicht werden! Selbst mit Geländekenntnis kann die gewohnte Flugroute dabei zu einer großen Gefahr für den Piloten werden!

Gleitwinkelfenster (Range)

zwischen dynamischem

Lift-Off und Dive

größer

Kleine Schirme verfügen über mehr Geschwindigkeits-Energie für dynamische Abhebemanöver und der „Lift“ (Auftriebsmoment) ist dabei kurzfristig größer. Je mehr Energie beim „Lift-Off“ verbraucht wird, desto größer das Potential für einen steilen „Dive“ (Bremsen abrupt freigeben). Mit kleinerem Schirm, wird der auftretende Anstieg der Sinkrate ausgeprägter. Du „fällst“ steiler.

Klappstabilität

höher

Gefühlte Sicherheit beim Piloten, weil kleinere Schirme über die bessere Penetrationsleistung und mehr Stabilität in unruhigen Bedingungen verfügen; VORSICHT: Klapper sind auch bei kleinen Schirmen mit hoher Flächenbelastung möglich! Sie können fatale Konsequenzen haben!

Reaktivität des Schirms

höher

Der Schirm reagiert wegen der größeren Flächenbelastung und den kürzeren Leinen sensibler und unmittelbarer auf Toggle-/Riser-Input und Gewichtsverlagerungen; er ist aggressiver, schwerer zu kontrollieren und verzeiht weniger Fehler. Diese Fehler können beim Speedriding mit High-Speed in Bodennähe schwere Folgen haben!

Dynamik

größer

Ein dynamischer Turn, der nicht mit präzisem Gewichtseinsatz begleitet wird, kann beim Piloten schnell zu unerwarteten Pendeleffekten um alle Achsen führen, die ihm die Kontrolle über sein Gerät entziehen können. Dieser Effekt verstärkt sich, umso kleiner der Schirm.

Stall-Gefahr

höher

Die kleinere Fläche hat zur Folge, dass der Pilot beim Bremsen des Schirms schneller als gewohnt an den Stall-Punkt herankommt. Ein Stall während dem Flug kann bei einem Speed-Schirm in der Regel nicht mehr behoben werden und hat in großer Höhe schnell tödliche Folgen.

Selbstgefühl

subjektiv sicherer

High-Speed-Flüge mit kleinen Schirmen vermitteln dem Piloten schnell ein ausgeprägtes Gefühl von Stabilität und Kontrolle. Dadurch werden die durch Geschwindigkeit und Dynamik potenzierten Risiken im Bewusstsein des Piloten vernachlässigt oder fehlinterpretiert. Extrem gefährlich!

Grundsätzlich gilt: Je kleiner der Schirm desto schneller, dynamischer, reaktiver und aggressiver wird er. Außerdem erhöht sich Deine Sinkgeschwindigkeit – besonders während Turns!  Bist Du auf diese Situation nicht genügend vorbereitet, weil Du zu schnell zu einem kleineren Modell gegriffen hast, dann kann Deine Speedriding-Laufbahn schnell zu Ende sein!

Überleg Dir am besten noch vor dem Griff zu einem kleineren Schirm, ob Du diese Faktoren in Betracht gezogen hast und ob Du die Fähigkeiten und Erfahrung besitzt, sie kontrollieren zu können. Stell Dir die Frage, ob es das zusätzliche Risiko wirklich wert ist … und welche Konsequenzen eine falsche Einschätzung Deines Könnens für Dich haben kann!

Know your Limits! Stay safe!

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